Im Dienst hat er immer seinen orangefarbenen "Ambu"-Koffer voller Arzneimittel und medizinischer Instrumente bei sich. Damit fährt er in seinem Spezial-Rettungswagen, einer fahrenden Intensivstation, die viel besser ausgestattet ist als gewöhnliche Krankenwagen. Dieses topmoderne Fahrzeug verfügt unter anderem über ein EKG-Gerät, mit dem Kardiogramme an die Uniklinik gefaxt werden können, drei Telefone und einen Computer, der die Besatzung des Fahrzeugs darauf aufmerksam macht, wenn Medikamente oder andere Ausrüstungsgegenstände ergänzt werden müssen. Der Einsatzbereich ist aber nur ein kleiner Teil der Stadt Taipei, und das Gesundheitsministerium hat noch nicht entschieden, ob dieses Experiment auch auf andere Teile der Insel ausgedehnt werden soll.
Ich bin vor allem deswegen Notarzt geworden, weil ich glaube, daß diese Arbeit zu mir paßt. Eine Altersgrenze gibt es eigentlich nicht, aber je jünger, desto besser, denn der Job erfordert Kraft und Konzentration. Um Notarzt zu werden, muß man eine schriftliche und eine mündliche Prüfung bestehen. Danach erhält ein neuer Notarzt einen zehnstündigen Vorbereitungskurs. Die Kursdauer auf dem mittleren Niveau beträgt 264 Stunden, und fortgeschrittene Notärzte müssen 2000 Stunden vorweisen. Bevor ich Notarzt wurde, war ich Soldat -- auch ein sehr anspruchsvoller Beruf. Als ich die Zeitungsanzeige für Notärzte sah, bewarb ich mich.
Wir gehören zum Verband der medizinischen Notversorgung Taipei" ( Taipei Emergency Medical Care Network, TEMCN). Ausgebildet werden wir im Schulungszentrum der Universitätskliniken, aber vom Gesundheitsministerium finanziert. Die Einheit an den Unikliniken wurde erst Anfang 1998 eingerichtet. Dies ist das erste Jahr des Projekts, und zur Zeit sind wir das einzige Notarztteam dieser Art in der ganzen Stadt Taipei. Wir arbeiten im 12-Stunden-Bereitschaftsdienst von acht bis acht. Das entspricht den Arbeitszeiten der Notaufnahme-Ärzte in der Klinik und erleichtert so unsere Zusammenarbeit mit dem diensthabenden medizinischen Personal.
Zur Zeit hat unser Team fünf Vollzeit- und drei Teilzeit-Notärzte, und wir Vollzeitkräfte wechseln uns mit dem Dienst ab. Nach einer Nachtschicht bekommen wir zwei Tage frei. Die innere Uhr braucht aber normalerweise eine Weile zur Umstellung von Nachtdienst auf Tagesdienst oder umgekehrt. Wenn ich auf Nachtschicht bin, habe ich die volle Unterstützung meiner Eltern. Meine verheirateten Kollegen können auf den Beistand ihrer Ehefrauen zählen, die glücklicherweise alle normale Arbeitszeiten haben.
Während des Dienstes halten wir uns normalerweise in der Notaufnahme bereit. Manchmal werden wir zu den Ärzten gerufen, etwa um bei einer Wiederbelebung mit Herzmassage und künstlicher Beatmung zu helfen. Wir müssen praktisch arbeiten, damit wir im Ernstfall unseren Job gut erledigen können, aber für reale Situationen gibt es nur wenige Übungsmöglichkeiten.
Notfälle können uns auf drei Leitungen gemeldet werden. Eine ist mit der Notrufnummer 119 verbunden, eine mit dem TEMCN, und es gibt auch eine Direktnummer im Ortsnetz Taipei. Der TEMCN umfaßt alle größeren Krankenhäuser Taipeis in einem System der gegenseitigen Hilfe. Wenn in einer Klinik aus dem TEMCN kein Bett für den Patienten frei ist, dann sucht ein Notarzt über den Verband ein freies Bett in einer anderen Klinik und bringt den Patienten dort hin, notfalls mit einem Arzt aus der Notaufnahme.
Zur Zeit gibt es beträchtliche Überschneidungen zwischen den Funktionen der 119-Notrufnummer (über die vor allem Brände gemeldet werden, aber auch medizinische Notfälle) und den Nummern des TEMCN. Weil der 119-Service mehr Stadtbezirke abdeckt und bekannter ist, sind die Jungs von der 119-Einsatzgruppe (die nur eine Grundausbildung als Notärzte erhalten haben und zu wenig klinische Erfahrung besitzen) meist vor uns am Unfallort oder in der Wohnung des Patienten. Ich hoffe, daß die Berichterstattung in den Medien uns in der Öffentlichkeit bekannter macht und man dann lieber unsere Nummer wählt.
Die Sanitäter von 119 leisten normalerweise die erste Hilfe vor Ort, überlassen die schwersten Fälle aber meistens uns. Bei einem Patienten im Koma beispielsweise können sie keine Schockbehandlung durchführen oder Spritzen setzen, wogegen wir unter der Aufsicht eines Arztes beides tun können. Direkt nach der Ankunft müssen wir uns ein Bild über den Zustand des Patienten machen und feststellen, ob er ein gebrochenes Bein, einen Schlaganfall oder sonstwas hat. Meistens fühle ich dabei eine sehr schwere Verantwortung.
Es gibt verschiedene Notruf-Grade. Ist der Patient in akuter Lebensgefahr, rasen wir mit Blaulicht und heulenden Sirenen. Die Geschwindigkeitsbegrenzung gilt nicht für uns, aber Verkehrssicherheit wird bei uns immer groß geschrieben. Nachts ist in der Regel nicht so viel Verkehr wie tagsüber, aber dann scheren sich auch viel weniger Autofahrer um rote Ampeln, daher müssen wir ganz besonders aufpassen. Nachts haben wir es meistens mit Schlaganfallopfern, Leuten mit Herzrhythmusstörungen oder den Opfern schwerer Verkehrsunfälle zu tun.
Ein Notruf kann jederzeit erfolgen. Wenn das Telefon nachts schrillt, gibt das einen richtigen Adrenalinstoß. Laut Vorschrift müssen wir in acht Minuten vor Ort sein, aber oft schaffen wir es in weniger als fünf Minuten. Wenn ich unterwegs mit der Überprüfung der Ausstattung im Fahrzeug fertig bin, sind wir meiner Erfahrung nach auch schon da. Ist der Patient beispielsweise im dritten Obergeschoß, gehe meistens ich rauf und hole ihn runter. Der Fahrer bleibt im Wagen und behält die teure Ausrüstung im Auge. Weil die Leute von 119 immer vor uns da sind, bitte ich sie um Hilfe, wenn ich den Patienten nicht alleine runterschaffen kann. Dann kommen sie sich nicht so nutzlos vor.
Sobald ich den Hörer abnehme, beginnt für mich die "Streßzeit". Entspannen kann ich mich erst, wenn ich wieder im Büro bin und auf den nächsten Anruf warte. Nachts werden wir nicht so oft alarmiert wie tagsüber. Ich kann mich noch an meinen ersten Nachtdienst erinnern. Nach der Elektroschockbehandlung des Arztes kam der Patient wie durch ein Wunder zum Leben zurück, und wir brachten ihn in die Uniklinik. Das war vielleicht ein Erfolgserlebnis! Wenn der Patient bei der Ankunft kein Lebenszeichen mehr gibt, übergeben wir ihn dem amtlichen Leichenbeschauer. Deswegen ist es so ungeheuer wichtig für uns, alle Lebenszeichen erkennen zu lernen.
Wir verdienen etwa 30 000 NT$ (1600 DM) im Monat. Wir werden von den Unikliniken bezahlt, das Geld kommt aber vom Gesundheitsministerium. Als Notarzt braucht man einen kühlen Kopf, schnelle Reflexe und vor allem eine große Hilfsbereitschaft. Eine richtige fachliche Ausbildung ist ebenfalls sehr wichtig. Ich bin noch ledig, und ich weiß nicht, ob ich nach einer Heirat in diesem Beruf weiterarbeiten werde. Ich denke nie darüber nach, wann ich aufhören werde. Das Gesundheitsministerium hat dieses Pilotprojekt auf ein Jahr angelegt, und wie es danach weitergeht, wissen wir nicht.